Einblick ins St. Mary's Child and Mother Krankenhaus
Indien, September 2019
Unsere Pani
Am Morgen nach der Teambesprechung rufen wir alle Patienten und Mütter zusammen und gedenken in einer gemeinsamen kleinen Andacht an unsere uns anvertraute Pani, Mutter von 2 Kindern, die an ihrer Krebserkrankung zuhause verstorben war und lange Zeit bei uns im Krankenhaus war. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich sie im Dorf vor 3 Jahren antraf und sie mir beim Verlassen des Dorfes hinterherlief und sagte, sie habe keinen, der sie ins Krankenhaus bringe, um ihr Krebsleiden zu behandeln. Daraufhin nahm ich sie mit zu uns und wir begleiteten sie die letzten Jahre mit ihrer Erkrankung. Sie erinnert an die Geschichte im Evangelium, in welcher Jesus den Gelähmten am Teich Bethesda fragt, ob er gesund werden will und er antwortet, er habe niemand, der ihn an den Teich bringt. Pani durfte die letzten Jahre bei uns wie ein Familienmitglied im Krankenhaus leben. Gleichzeitig haben wir ihre zerfallene Hütte zuhause bewohnbar gemacht und eins ihrer Kinder in ein Schulinternat untergebracht und ihre Tochter, die auswärts verheiratet war an ihre Seite gestellt. Sie war bis zuletzt froh nicht allein und in einer großen, Anteil nehmenden Gemeinschaft zu sein.
Die verlorene Unschuld der Küchenfeuer
Es gibt auch immer wieder Familientragödien. Vor mir sitzt ein kleines Kind, ungewöhnlich aufgeweckt mit seiner Großmutter. Ich frage nach der Mutter und es kommt heraus, sie habe Selbstmord begangen. Aus einem Streit heraus hat sie sich mit Kerosin übergossen und angezündet. Der Mann, obwohl in dieser Zeit nicht zuhause, muss für ein Jahr ins Gefängnis. Küchenfeuer in Indien haben schon lange ihre Unschuld verloren, da sie bei Weitem nicht immer ein Unfall sind. Im Falle eines Selbstmords mit Feuer, muss immer auch in Erwägung gezogen werden, dass der Mann sich schlicht geschickt seiner Frau entledigen wollte. Sachverhalte sind oft schwierig zu klären, somit wird erst gar nicht ermittelt, sondern beschlossen, dass Mitbeteiligte der Streitigkeit ins Gefängnis müssen. So wurde auch sogleich die Großmutter miteingesperrt, wie sie berichtete...in dem Versuch dem Unrecht, welches vielen Frauen in Indien erfährt, zu begegnen, werden auch Unschuldige schnell zu Tätern gemacht.
Leider fehlt in der Armut auch die soziale Kompetenz einfache Streitigkeiten zu lösen, stattdessen nimmt die Frau oft reiss-aus zu ihren Eltern, und wartet im hiesigen Haus darauf, dass der Mann sie zurückholt, während der Mann im gemeinsamen Haus das Gleiche tut. Nicht selten konnten wir, nur durch das räumliche Wiederzusammenführen von Ehepartnern -indem ein Sozialarbeiter die Frau wieder zurück in ihr Dorf begleitete und einen Dialog gestaltete- Streitigkeiten lösen, welche zuvor über Wochen ausgesessen wurden. Im schlimmsten Fall enden die Streitigkeiten so, dass kein Ausweg mehr gesehen wird und eine Familientragödie ist das Letzte was bleibt.
Typhus
Wir wollen gerade in die Dörfer fahren, dann kommt ein Anruf aus dem Konvent nebenan, eine Schwester des Ordens sei sehr schwer erkrankt und wir sollen kommen. Sie hat seit 2 Wochen Fieber und Schüttelfrost, eigentlich seit 4 Wochen schon und ist ganz dehydriert. Es sieht nach Typhus aus, was sich in einem Test später bestätigt.
Awareness Programm in den Dörfern
Im Dorf warten 50 Kinder von unserem Awareness Programm, welches alle Kinder unter 3 Jahren und alle Schwangeren als primäre Zielgruppe hat. Bei feuchter tropischer Hitze untersuchen wir die Kinder draußen, auf der Veranda einer Dorfhütte. Den Kindern stehen die Schweißperlen wie kleine Perlmutt Tropfen im Gesicht, meist leuchten die Augen hervor. Die Mütter sind dankbar, dass wir kommen. Sie haben kaum Zugang zu einer medizinischen Versorgung, da sie sehr abgelegen leben. Außerdem fehlt es an Geld für Transport und Medikamente. Leider stellen wir fest, dass der Dorfteich am Austrocknen ist, da es zu wenig geregnet hat. Es gibt nur eine Wasserpumpe im Dorf, von der sich alle 300 Dorfbewohner bedienen müssen. So ist die große Wassernot deutlich auch an schweren Hautinfektionen und Darmerkrankungen zu erkennen. Unsere ausgebildeten Sozialarbeiter haben wirklich gute Arbeit geleistet. Sie besuchen die Mütter regelmäßig und unterrichten sie in Hygiene, Ernährung und frühen Krankheitssymptomen, als auch erster Hilfe. Tatsächlich haben die Kinder nun ab dem 6. Monat Beikost bekommen, was bisher nur selten vorzufinden war. Das hat sich gleich in einer geringeren Anämie-rate hervorgetan.
Tuberkulöse Meningites
Es wird ein kranker Mann, ganz abgemagert, 22 Jahre, zu uns in die Ambulanz hineingetragen. Acht Angehörige sind dabei, ganz besorgt, denn wir sind ihre letzte Hoffnung. Seit letzter Nacht hat der Mann nun plötzlich eine Halbseitenlähmung und Sprachstörungen - jedoch schon seit einem Monat Fieber und Kopfschmerzen und Erbrechen. Er war bereits im staatlichen Krankenhaus, von welchem er jedoch nach 2 Tagen entlassen wurde, und weiterverlegt werden sollte, was die Angehörige selbst in die Hand nehmen müssen. Sie wissen nicht wie man in dieses ferngelegene Krankenhaus kommt und wie man den Zugang zu einem Arzt findet und außerdem haben sie kein Geld für Medikamente. Wir haben den Mann notversorgt und mit unserem Ambulanzwagen in unser Wahl- Krankenhaus nach Kalkutta gebracht, wo unsere Patienten immer gleich und gut versorgt werden. Es stellte sich dann eine Tuberkulöse Meningitis heraus, so dass wir definitiv diesem jungen Mann das Leben retten konnten.
Die Zeit läuft
Leider kommen manche Patienten auch sehr spät, so ein 2-jähriges Kind mit einem Augentumor, der schon aus dem Augapfel hinauswuchs und deutlich ein inneres Wachstum zeigte. Hier war nur noch eine palliative Versorgung möglich. Vorsorgeuntersuchungen, wie sie bei uns üblich sind, könnten hier vorzeitig den Tumor entdecken und das Kinderleben retten. Umso dringender erscheint uns das in unserem Gesundheitszentrum eingeführte Vorsorgeprogramm, zu welchem wir gezielt Kleinkinder der umliegenden Dörfer einladen und Vorsorge zur Früherkennung von Entwicklungsstörungen, Herzfehlern, oder Anämien betreiben können. Solch ein Vorsorgeprogramm ist im indischen System nicht umsetzbar da die Krankenhäuser überfüllt sind, und die verfügbare Behandlungsdauer je Patient keine präventiv-orientierte Beratung und Untersuchung zulässt. Unser ins Leben gerufenes Säuglings-Vorsorge Programm kommt in den Dörfern bei den Müttern recht gut an, sie werden im Dorf abgeholt, und das Vertrauen wächst zu uns während des Checkups und den begleitenden Awareness-trainings, auch die Kinder verlieren ihre Angst vor dem Arzt. Viele der Mütter suchen uns nun ganz von alleine auf, sobald ihr Kind krank ist, da ihnen nun die Wichtigkeit der frühzeitigen Behandlung von Krankheiten bewusst ist, und Krankheit nicht mehr länger als gegeben im Stillen hingenommen wird.
Der Kampf mit der Korruption
Es gilt eine Brandschutz-Abnahme bei einer Feuerschutzbehörde einzuholen. Diese überschüttet uns mit einer Fehlermeldung nach der anderen bei uns, da wir es bis jetzt nicht verstanden haben, ein angemessenes Schmiergeld zu bezahlen. Seit 9 Monaten geht das schon so hin und her. Wir laden die zuständigen Herren zu einer Visite bei uns ein, erklären unsere Arbeit für die Armen, worauf sie hin versichern, bald die Genehmigung ausstellen zu wollen!!
Maria
Vor unserem Krankenhaus steht eine Grotte mit einer Marienstatue, die sehr zum Gebet und Verweilen einlädt. Maria haben wir als unsere Schutzpatronin auserwählt. Nun hat die feuchte Hitze der Marien-Statue doch zugesetzt und wir wollten sie neu streichen lassen…Die gerufenen Malergesellen pinselten einfach darauf los,... auf eine dicke Schicht an Schmutz, ohne den Dreck zu beseitigen, klecksten sie kräftig umher bis ich Einhalt gebot und selbst Lappen und Pinsel in die Hand nahm…anschließend bestellte ich den angedachten Maler herbei, damit er mit seiner Kunstfertigen Hand die neue Glasur übernimmt, auf der nun sorgsam gereinigten Maria.
Maria ist für uns eine wahre Fürsprecherin und ein großer Segen für all unsere Kinder…das dürfen wir täglich erleben.
Einblick in St. Mary Krankenhaus.pdf
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