Der Armut begegnen

September 2017

Ein 18-jähriges Mädchen mit ihrem 3-monatigem Kind wird uns von einer Frau gebracht, die im Bahnhof putzt und diese Beiden dort alleingelassen vorgefunden hat. Die junge Mutter macht einen traurigen Eindruck und erzählt ihre Geschichte. Ihr Ehemann hat sie nach der Geburt des Kindes verlassen und sie konnte ihn auch bei seinen Eltern nicht finden.

Daraufhin blieb sie bei ihrem Vater, der neu verheiratet sie nicht weiter beherbergen wollte. Dieser hat sie ebenfalls des Hauses verwiesen und so nahm sie einen Zug und fuhr los. In Bolpur stieg sie aus und übernachtete auf dem Bahnsteig, wo sie am nächsten Morgen von einer Putzkraft gefunden wurde, welche sie dann zu uns ins Krankenhaus brachte. Nach einigen Tagen der Erholung wurde sie von der Putzfrau zuhause aufgenommen… Hoffentlich geht es gut… Wir bleiben dran.

Nicht mehr gehfähig - Vitaminmangel

Mina, unsere ehemalige Tuberkulose-Patientin, kam nun mit ihrem Mann in unsere Ambulanz, der nicht mehr laufen konnte und über starke Muskelschmerzen klagte. Er wog gerade noch 34 Kilo. Wir vermuteten schon lange bei ihm auch eine Tuberkulose, was sich jedoch nicht bestätigte. Er war einfach nur ausgehungert und aufgrund des Vitaminmangels (Vitamin B) nicht mehr gehfähig.

Wir legten eine Infusion mit Vitamin B Zusatz und nach 5 Tagen lief er wieder umher. Er arbeitet saisonweise als Bauarbeiter und hat nur zeitweise ein Einkommen, womit er die Familie ernähren kann. Auch Mina klagte über Hunger, also quartierten wir die ganze Familie bei uns ein, um sie aufzupäppeln. Den Mann müssen wir umschulen und denken an ihn als TUK TUK-Fahrer, was nicht so anstrengend ist und auch ein Einkommen durchgängig sichert.

Gesicht und Würde zurück

Eine Sorgenfamilie mit 3 mangelernährten Kindern aus einem unserer Awarness-Projekt-Dörfer hatten wir stationär aufgenommen. Zwei der Kinder hatten eine schwere Anämie und benötigten bei einem Hämoglobinwert von 2,5g% und 4,5g% eine Bluttransfusion. Bei uns sollen sie nun 5 Mahlzeiten am Tag bekommen und die Mutter in gesunder Ernährung fortgebildet werden.

Diese Familie ist so hilflos und isoliert im Dorf wie auch bei uns im Hospital, da sie die einfachsten Hygieneregeln nicht kennt und vor Schmutz und Gestank gemieden wurde. Wir haben die Kinder entlaust, mit Windeln versehen und täglich schön gewaschen und eingeölt und mit ihnen die Wäsche gewaschen, damit sie das auch mit sauberem Wasser zuhause weiterführen können.

Langsam bekamen Mutter und Vater wieder ein Gesicht und ihre Würde zurück. Von unseren Dorfhelfern wurden sie voll Enthusiasmus instruiert, was nun zuhause zu tun sei. Zum ersten Mal habe ich die Mutter lachend erlebt, als sie ihre eigenen Erlebnisse erzählte und auf viel lachende Resonanz stieß. Der Vater ging anschließend zum Barbier, um dem neuen Gesicht auch einen neuen Haarschnitt zu verpassen…

Jedoch wendete sich das Blatt, als der Vater nicht mehr von seinen Eltern ernährt wurde und nun zuhause auf sich gestellt war. Er nahm in einer Nacht und Nebelaktion Mutter und die Kinder aus dem Krankenhaus nach Hause, damit die Frau wieder für ihn koche. Das Wohl der Kinder hatte er nicht mehr im Auge…. Am nächsten Morgen schickte ich unseren Koordinator Jayanta in ihr Dorf, um nach ihnen zu schauen und sie kamen im Gänsemarsch wieder zu uns zurück.

Mit liebevollem Herz - unsere Volontäre

Große Hilfe leisteten dabei unsere Volontäre Birgit, Kinderärztin und Kati, Ernährungsstudentin. Sie haben sich ganz in unser Ernährungsprogramm vertieft: vom Einkauf bis zur Schulung in der Küche, Schulung der Mütter und dem sinnvollen Ablauf, die vielen hungrigen Münder zeitlich zu koordinieren. Mit viel Mühe überzeugten sie die Mütter, den Kindern statt einen Berg Reis mit ausreichend Gemüse zu füttern.

In den armen Familien ist der Überlebenskampf so groß, dass ein liebevoller Umgang mit den Kindern auf der Strecke bleibt. Die Mütter müssen auf dem Feld arbeiten, die Kinder bleiben zurück und das Ältere muss auf das Jüngere achten. Meist essen sie dann tagsüber nur Trocken-Reis oder Kekse. Wir konnten sehen, wie sie aufblühen, als sie neben der gesunden Kost nun auch ein liebevolles Herz und Arme unserer Volontäre bekamen, was sie ausgiebig auskosteten. Birgit hatte in den ersten Tagen eine Erste Hilfe Fortbildung über Schlangenbiss gegeben, wobei sich zur Untermauerung der Aktualität gleich eine Schlange in unserer Küche eingefunden hatte. Jedoch haben erfahrene Helfer sie außer Haus getrieben.

Herz-Spezialist zur Seite

Ein Kinderkardiologe aus einem Herz-Zentrum, in das wir unsere herzkranken Kinder zur Operation hinbringen, besuchte uns gleich zweimal, um unsere herzkranken Kinder zu untersuchen. Dabei hat er uns das Sonographieren des Herzens mit vollem Enthusiasmus demonstriert und will gerne junge Ärzte darin fortbilden.

Mütterschulung ausgeweitet

Unser Awarness-Programm dehnten wir auf 6 neue Dörfer aus, wo wir bei Regenfluten oder in feuchter Hitze unsere Sprechstunde im Freien abhielten. Die vielen Schweißtropfen auf den Gesichtern der Kinder lassen das eigene Schwitzen rasch vergessen. Gleich haben wir auch mit unseren Schulungen der Mütter und Anlegen von Gemüsegärten begonnen.

Grund zu feiern...

Wir konnten schönen Festen beiwohnen, bei den Mutter Teresa Schwestern, welche uns treu ihre kranken Kinder bringen. Darunter ein Kind mit Bauchtuberkulose und ein Kind mit einem Wasserkopf. Am 5.September feierten sie den 20. Todestag von Mutter Teresa. Dazu haben sie alle Fahrrad-Rikschafahrer eingeladen zu einer Feier und anschließender Verteilung von Kleidern und Reis. Diese sind nun arbeitslos geworden seit es die vielen günstigen Elektro-Rikschas gibt.

Ein ganz besonderes Fest war der Lehrer-Tag in Ghosaldanga, wo ich vor 23 Jahren angefangen hatte. Mit Tanz und Theaterstücken zeigte die Jugend, was sie alles gelernt hatten und spiegelten damit das Leben und besonders die neuen Entwicklungen im Dorf wieder. Für mich sehr berührend und schön, wie sich diese Kinder zu selbstbewussten jungen Menschen entwickelt haben, die aus ihrer Scheuheit herausgetreten sind und nun mit ihren neuen Ideen die Zukunft des Dorfes sind.

Unter Gottes Führung

Auch meine Mitarbeiter im Krankenhaus spüren deutlich, dass uns Gottes Segen begleitet und Er wirkt, wenn sich Schicksale wenden und sich neue Lebenschancen eröffnen. Das erfüllt uns alle mit Zuversicht und Kraft und stärkt unser Vertrauen in Seine Führung - durch alle Schwierigkeiten hindurch.

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