Eine Armut, die unsere Liebe braucht...

November 2018

  

Der Hühnchen-Händler

Der Hühnchen-Händler, der regelmäßig Geflügelfleisch in unsere Krankenhaus-Küche bringt, hat schon auf meine Ankunft gewartet, um mir sein kleines Enkelkind vorzustellen, das nicht gedeiht. Die Mutter, selbst noch ein Kind, wirkt ganz zart und hält ein ebenso zierliches Wesen in ihren Armen. Vor mir sehe ich ein Kind mit schwerster Atemnot, blauen Lippen und blau cyanotischen Füßen und rasendem Puls. Die Sauerstoffsättigung liegt gerade bei 57%, was eine schwere Sauerstoffnot anzeigt.

Ich vermute eine Pneumonie und einen Herzfehler und kann das Kind rasch in ein größeres Krankenhaus verlegen, um erst einmal das Überleben zu sichern. Eine Woche später kommt unser Kardiologe, der an dem Kind einen schweren Herzfehler (nur eine Herzkammer) feststellt und es in sein Zentrum zur Abklärung übernimmt.

Barmherziger Samariter...

Eines Morgens erscheint ein Priester aus einer Gemeinde 30 Kilometer von uns entfernt. Er bringt einen jungen 24-jährigen Mann, der seit einem Jahr gelähmt ist, nachdem er von einem Baum gefallen war… - er hatte einem Kind eine Kokosnuss vom Baum herunter holen wollen, um die es ihn gebeten hatte... Dabei hat er sich einen Halswirbel gebrochen und war dann querschnittsgelähmt.

 

Ich hatte versucht, ihn in ein Physiotherapie-Zentrum unterzubringen, jedoch vergeblich… Es sei keine Hoffnung für ihn … hieß es… Das wollte ich nicht so gelten lassen und habe ihn dann in unsere Kinderklinik aufgenommen…

Als ich ihn untersuchte, versuchte ich mir vorzustellen, was dieser junge Mann wohl erleidet, wenn er seit einem Jahr so bewegungslos im Bett liegt. Dabei hatte ich ein Gefühl, Jesus vor mir zu haben… Es wurde mir klar, dass wir uns um ihm kümmern sollen und der Priester der barmherzige Samariter ist, der den jungen Mann nicht so unversorgt zuhause liegen lassen wollte.

Mit Seife und Banane! ...- neue Kindervorsorge

Die Kinder im ersten Lebensjahr aus unseren Santal-Dörfern sollen nun eine Vorsorge-Untersuchung bekommen, wie wir es in Deutschland kennen. Dazu haben wir das Vorsorgeheft ins Englische übersetzt und etwas abgewandelt. Die Kinder von einem Monat bis 12 Monate werden mit einem TukTuk aus den Dörfern mit Mutter abgeholt.

Sodann bei uns gemessen und gewogen, woraufhin die Mütter eine Fortbildung über Ernährung, Hygiene, Notfälle, Stillen und Zufüttern des Kindes bekommen. Danach erfolgt die Entwicklungsdiagnostik und eine Hämoglobin-Messung bei Mutter und Kind…

Fast alle, inklusiv Mütter, benötigen eine Anämie-Behandlung. Mittags bekommen die Mütter eine reichhaltige Mahlzeit, wo gleich die Hygiene eingeübt wird und nebenbei eine Aufklärung mit Postern über gesunde Nahrungsmittel. Abschließend erhalten sie ein Care-Paket mit Seife, Eiern und Obst.

 

Unsere indischen Kinderärzte nehmen voll Begeisterung diese Vorsorge-Untersuchungen an und werden es sicher in ihrem Umfeld weitertragen.

Pattu mit Zugseil

Pattu ist seit mehreren Wochen bei uns und wir sind froh, endlich die Verdachts-Diagnose einer Tuberkulose im Hüftgelenk bestätigt zu haben, dass die Behandlung beginnt und er von seinen starken Schmerzen und Immobilität befreit werden kann. Nun ist er nicht mehr zu bändigen und hüpft durch das Haus, obwohl er vom Orthopäden eine Extension am Fuß verordnet bekam ,um das, was vom Hüftkopf übrig verblieben ist, wieder richtig im Hüftgelenk zu positionieren. Lieber rollt er das Seil kunstvoll auf, als noch einmal bewegungslos im Bett zu liegen… So müssen wir ihn mit Spielen locken, dass er wenigstens kurzweilig das Zugseil wirken lässt. Das ist Voraussetzung für die Korrekturoperation, was er jedoch nicht verstehen kann.

Puja - nach 2 Jahren Krankenhaus-Aufenthalt geheilt

Puja kam vor zwei Jahren zu uns mit einer Knochenentzündung am Oberschenkel, wobei sich ein dicker Abszess gebildet hatte und sich der Eiter über die Haut nach außen entleerte. Innerhalb von einem Monat war der komplette Oberschenkelknochen durch Tuberkulose aufgelöst und wir begannen sofort eine Behandlung gegen Tuberkulose. Zur weiteren Therapie schickten wir Puja zu den German Doktors nach Kalkutta, welche die Betreuung über zwei Jahre dankenswerter Weise in ihrer Tuberkulose-Kinderstation weiterführten.

Nun ist es so weit, eine kleine junge Dame mit fröhlichen Augen schaut uns an und läuft problemlos umher. Nun möchte sie bei einer Tante in unserer Nähe wohnen und auch dort zur Schule gehen, wo wir die Schule sponsern können. Kaum zu glauben wie sie nun nach zwei Jahren Krankenhausaufenthalt fröhlich auf dem Fahrrad ihrer Tante nach Hause radelt…

Merilla - das Bein muss ab!

Merilla leidet an einer angeborenen Gefäßerkrankung mit ausgedehnten Blutschwämmen am Bein, das dadurch verdickt und verkrümmt ist. Sie kam einst an einem Bambusstock gestützt zu uns und wir konnten eine Gelenk-Operation organisieren, wobei ihr Bein wieder einigermaßen gerade wurde. Nachdem wir Krankengymnastik durchführten und sie mit Gehstützen versorgten, ging sie schließlich wieder heim. Nun kam sie erneut mit ihrer Mutter, die uns anmahnte, doch das Bein zu amputieren, da sie solche Schmerzen habe.

Also nahmen wir sie wieder auf … Das reichte schon, dass sie munter bei uns herumspazierte und ich nichts von Schmerzen zu hören bekam…

Ein ganz normaler Alltag

Bei voller Ambulanz melden sich kurzfristig unsere indischen Ärzte ab, die sonst täglich morgens die Sprechstunde abhalten. Ein junger Mann mit Verdacht auf Pleura-Tuberkulose kann seine Medikamente nicht bekommen, da in seinem Sputum die Tuberkelbakterien nicht nachweisbar sind. Also organisieren wir an der Uniklinik, 50 Kilometer entfernt eine Pleura-Punktion mit Untersuchung des Pleura-Ergusses. Alles war bereit - Auto, Fahrer, Begleiter, Ärzte – jedoch kam der Patient nicht zum Termin!!! So müssen wir ihn suchen gehen, da er seine gefährliche Erkrankung nicht einschätzen kann. Mein Koordinator und Übersetzter muss rasch weg, da seine Tochter in der Schule nebenan keine Malstifte hat und er sie sofort besorgen soll - obwohl sieben Kinder zur Vorsorge warten - die Angst vor den strengen Lehrern wirkt auch auf ihn.! …. Dann geschieht ein Wasserrohrbruch im Treppenhaus und es strömt kräftig Wasser die Treppe hinunter und flutet die Rezeption… Es stört keinen meiner Angestellten….. Zum Glück haben es meine Volontäre bemerkt, die dieses für interventionsbedürftig hielten. Am Morgen wurde von mir noch einmal darauf hingewiesen, Hunden den Zutritt hier zu verwehren… Bis zum Mittag hat sich eine Hündin in der ausgedienten Küche an der Kochstelle einquartiert und mehrere junge Hunde entbunden… So müssen wir sie erstmal umsorgen!!

Kunterbunte Dorfsprechstunde

Die Dorfsprechstunde haben wir im engen Hof einer Dorf-Helferin abgehalten, ohne zu ahnen, dass wir die zugehörenden Tiere mit einkalkulieren müssen. Vehement drücken sich die Rinder durch das Gatter nach innen zu uns, scheuchen alles Federvieh auf, das dann auf und in unseren Medikamenten-Taschen Zuflucht findet.

Schließlich kommen die Rinder an unserer Wiege- und Messstelle zum Stehen, jedoch sind unsere Waagen für Schwergewichter nicht ausgerichtet!!

Tatkräftige Unterstützung erhalten wir von unseren jungen Volontären Clara, Krankenschwester und Sara, Ernährungsstudentin, die auf vollwertige Ernährung achten und die Pflege und Hygiene schulen.

Eine Armut, die unsere Liebe braucht...

Wie immer zur Winterszeit verteilen wir auch diesmal warme Kleider an alle Kinder unter fünf Jahren, was wie ein großes Fest im Dorf angenommen wird…

Unsere Sorgenfamilie mit Chobi, Akash und Duli besuchen mich morgens zu Hause, jedoch ahne ich nicht, dass sie nicht ins Krankenhaus zurückkehren, wo dringend weitere therapeutische Maßnahmen anstehen…. für sie ist es genug..., sie haben sich satt gegessen und wenn es schlimmer wird, dann kommen sie halt wieder…

Eine Armut, die wir nur schwer verstehen können... und immer wieder unsere offenen Arme und unsere Liebe  braucht!!