Der Chirurg? Kommt erst übermorgen....
September 2015
Bei unseren Dorf Checkups haben wir eine Schwangere mit einem erhöhten Blutdruck und geschwollenen Beinen gefunden und sie gleich in unser Krankenhaus einbestellt, da sie Zeichen einer Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung) aufwies. In der Nacht platzte ihre Fruchtblase - zu früh in der 30. Schwangerschaftswoche – so dass wir sie ins staatliche Krankenhaus verlegten.
Im Krankensaal lagen 4 bis 5 Patienten in einem Bett, Angehörige saßen daneben auf dem Boden, zum Teil auch unter dem Bett kampierend, Infusionen liefen in einem Schlauch-Wirrwarr an die jeweiligen Patienten. Unter den Betten standen Eimer mit reichlich gefüllten Essensresten und Sekreten, die einen stechenden Geruch verursachten. Wir kamen direkt in den Entbindungssaal, wo unsere Patientin kein Interesse bei den Schwestern weckte und ich ihre Geschichte mehrmals erzählte, bis sie dann doch aufhorchten und sogleich eine Behandlung einleiteten.
Jedoch musste unsere Schwangere in eine weiter entfernte Universitätsklinik verlegt werden, da es in Bolpur keine Beatmungsmöglichkeiten für Frühgeborene gibt. Tatsächlich klappte die Verlegung, und am Abend hatte sie dort ein kleines Mädchen entbunden. Welch ein Glück, dass dies nicht im Dorf geschehen ist, da hätte das Frühgeborene sicher keine guten Überlebenschancen gehabt.
Akuter Blinddarm... - kann warten...?
Unsere neue Krankenschwester Sadeshuri bekam am Sonntagabend Bauchschmerzen, ganz akut und es waren alle Zeichen einer Blinddarmentzündung vorhanden… Jedoch kein Chirurg weit und breit! In den umliegenden Krankenhäusern gibt es Sonntagnacht keinen Chirurgen, also begannen wir eine antibiotische Behandlung und Schmerz-Therapie.
Am nächsten Morgen brachten wir sie in ein Beleg-Krankenhaus, wo eine Sonographie durchgeführt wurde und dann von uns eine OP angedacht war. Der Sonographist sagte, es sei eine akute Blinddarmentzündung und man könne noch 3 Tage warten bis dann ein guter Chirurg nach Bolpur käme. Mein Helfer brachte sie zurück zu uns und ging heim zum Duschen und Essen.
Also fuhr ich selbst los, um den einzigen vorhanden Chirurgen aufzusuchen und ihn um eine OP zu bitten. Er sagte zu, jedoch muss vorab der Vater um Erlaubnis gefragt werden. Wohlwissend hatte ich diesen gleich mitgebracht… Der sagte jedoch „nein“ und der Chirurg verschwand. Wir hatten dem Vater die Dringlichkeit vorher erklärt, vermutlich war es Angst weshalb er ablehnte. Also musste auch ich sie wieder mitnehmen und ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend. Alle Mitarbeiter bei uns standen um ihr Bett und gaben ihre besten Ratschläge ab.
Hilfesuchend wandte ich mich nun an unseren Gynäkologen, der dann rasch die erneute Einweisung ermöglichte, wo am nächsten Morgen frühestens die OP stattfinden könne. Also rasch wieder ins Krankenhaus, wo sie in einen Raum geschoben wurde, wo gerade eine Geburt stattfand. Gerade noch rechtzeitig konnte die OP durchgeführt werden. Nach 2 Tagen durften wir sie wieder abholen, wir fanden sie freudig erleichtert und sofort willens wieder zu arbeiten. Wir konnten sie in ihrem Enthusiasmus bremsen und sie wieder zu uns ins Krankenhaus nehmen, wo sie von allen gehegt und gepflegt wurde.
Adhita - nur ein Gips!
Wir haben zwei Kliniken aufgesucht, jedoch ohne Erfolg auf eine korrigierende OP. Schließlich hat unser Neuropädiater aus Kalkutta geholfen, das Kind bei sich im Kinder-Krankenhaus aufzunehmen, damit die notwendige OP durchgeführt werden kann und es zu keiner Behinderung später kommt. Als wir das Kind abholten, mussten wir feststellen, dass auch hier keine Operation durchgeführt wurde, sondern nur ein neuer Gips angelegt wurde. Die Sorge um eine Knocheninfektion war größer als die spätere Beinlängendifferenz.
Wir haben bei uns Bristi, ein 3-jähriges Mädchen liegen, die seit einem Jahr eine chronische Knochenvereiterung am Unterschenkel hat, wobei sich der Knochen zur Hälfte schon aufgelöst hat. Nur sehr schwer und langwierig gestaltet sich der Heilungsverlauf, nachdem nun eine Knochentuberkulose festgestellt wurde. Auch hier warten wir auf die anstehende Knochenoperation.
Ernährungsprogramme gut angenommen
Wir waren erneut in den 20 Dörfern, in denen Silvia ihre Doktorarbeit zu Mangelernährung, Anämien und Minderwuchs durchführt. Eine Verbesserung soll nun durch unsere Ernährungsprogramme mit Zusatz von Moringa, Amaranth und TopNutri erreicht werden. Wir hatten einen erfahrenen Kinderarzt, Hans-Peter an unserer Seite, der uns fleißig bei den Untersuchungen der Frauen und Kinder unterstützte.
Nach einer Laufzeit von 6 Monaten können wir schon erkennen, dass viele Kinder und Mütter sich mit dem Hämoglobin verbessert hatten. Jedoch mussten wir auch sehen, dass unser Ernährungsprogramm zwar gut angenommen ist, jedoch die Mütter sich darauf verlassen, dass hier die Kinder etwas zu essen bekommen.
Nach wie vor bleibt das Nahrungsangebot für die Kinder zuhause gering, die gemeinsame Einnahme einer Mahlzeit in der Familie ist eher eine Seltenheit, wo ein Kind betreut und zum Essen animiert wird. Wenn die Studie zu Ende ist in einem Jahr wollen wir in diesen Dörfern Küchengärten anlegen, damit nun der tägliche Speiseplan angereichert werden kann.
Herzkinder bekommen OP
Bei unseren Dorfbesuchen konnten wir 7 Kinder mit Herzfehler herausfiltern, wobei 4 schon operiert wurden und 3 noch auf der Warteliste dafür stehen. Unser treuer Helfer Pankaj hat mittlerweile einen guten Kontakt zu der staatlichen Gesundheitsbehörde und dem Herzzentrum aufgebaut. Die Kosten für die Herzoperationen werden für Kinder von der Regierung übernommen. Die Familien in den Dörfern hätten nie von sich aus von diesen staatlichen Förderprogrammen erfahren.
Unsere Volontäre
Wir hatten dieses Mal eine gute Verstärkung von Kinderärztinnen. Neben unserer Langzeit-Ärztin Christina kamen Andrea und Corinna im September zur Unterstützung zu uns. Dadurch konnten wir mehr Dorfbesuche unternehmen und unsere Hilfe weiteren Dörfern anbieten, sowie auch die Versorgung in unserem Krankenhaus bekannt machen.
Ausblick
Trotz reich gefüllter und turbulenter Tage will unsere Langzeitärztin Christina kommendes Frühjahr erneut für sechs Monate zu uns kommen. Mit Ihrer Hilfe ist die Kinderstation voll belegt und wir wissen die Kleinen gut versorgt. So sind wir dankbar um Ihren verantwortlich liebevollen Einsatz und vertrauen darauf, dass die notwendigen Hilfen und Helfer an unserer Seite sind.
In den neuen Dörfern konnten wir das wachsende Vertrauen der Mütter deutlich spüren. Sie lernen uns mehr und mehr kennen und bringen ihre kranken Kinder zu uns in die Klinik. Auch eine mangelernährte Mutter fand in diesen Tagen neue Kraft und verließ fröhlich, ausgeruht und satt nach einer Woche stationärem Aufenthalt unsere Klinik mit ihrem Kindchen im Arm.
PDF-Dokument [1.0 MB]