Wie in einer Großfamilie helfen unsere Patienten einander
August/September 2024
Erstaunlich
Es ist immer wieder erstaunlich, welche Schicksale sich hinter den Patienten verbergen, die einfach und scheu vor uns stehen: Eine untergewichtige Frau mit ca. 40kg kommt mit ihrem kleinen Kind und ist erneut schwanger. Sie muss hart arbeiten, und zwar auf dem Bau, das heißt schwere Steine auf dem Kopf tragen, um den Unterhalt zu verdienen. Der Ehemann ist nur bereit zur Arbeit zu gehen, wenn sie das auch tut. Bleibt sie zuhause, so bleibt er auch... Dann gibt es auch nichts zu essen!!
Gleich im Einsatz
Bei meiner Ankunft kommt es gleich zum Einsatz: Von unserem Hausmeister ist die Mutter auf der nassen Veranda gestürzt und hat sich den Oberschenkelhals gebrochen. Sie liegt nun schon 14 Tage hier in einem Raum. Sofort fahren wir sie in eine chirurgische Klinik, wo eine Operation geplant wird. Jedoch geht hier alles nicht so einfach. Wegen einer Anämie (Blutarmut), muss der Sohn erst mal selbst Blut spenden, damit seine Mutter eine Bluttransfusion bekommen kann. Weitere Termine kann er nicht einhalten, da er es nicht gewohnt ist, irgendwelche Abmachungen einzuhalten. Somit bleibe ich neben ihm stehen bis er sich dann auch auf den Weg macht. Endlich kann die nötige Operation durchgeführt werden.
Freud und Leid liegen nah beieinander…
Freud und Leid liegen oft nah beieinander: Wir feiern gerade meinen Namenstag mit Gesang, Blumenstreuen und Kuchen, der unter den Patienten verteilt wird…, als plötzlich ein Kind in der Aufnahme einen Krampfanfall bekommt und wir hineilen. Zum Glück sind meine Krankenschwestern sehr beherzt und versorgen mit mir den Patienten. Sie sind es mittlerweile gewohnt, solche Vorfälle zu meistern, da dies doch öfters vorkommt. Sehr oft liegt einem Krampfanfall ein Granulom im Gehirn zugrunde hervorgerufen durch Cysten von einem Schweinebandwurm im Darm. Das Geschirr wird immer noch im Dorfteich gewaschen und mit Sand ausgerieben, wo auch Schweine sich gerne tummeln und als Übertrager fungieren.
Ungefragt…
Es kommt eine ältere Mutter zur Neugeborenen-Vorsorge, die ich erst für die Großmutter hielt. Sie sei 47 Jahre und habe noch ein Kind bekommen nach lang ersehntem Kinderwunsch. Es wurde ein Kaiserschnitt vorgenommen und ungefragt sicherheitshalber eine Sterilisierung durchgeführt, was die Frau nur von der Nachbarin erfuhr, die die Entlass-Papiere durchgelesen hat.
Frühchen gut umsorgt
Eine junge Mutter, selbst noch ein Kind, hält ein kleines Bündlein Leben in ihren Arm, unsicher, wie sie es anfassen soll. Das Stillen scheint ihr auch ganz fremd. Wenn wir fragen wie alt sie ist, sagt sie 18 Jahre, sie sieht eher nach 15 Jahre alt aus. Wir nehmen beide bei uns auf, ihr zu frühgeborenes Kind wiegt gerade 1,8 kg.
Damit beide gut miteinander in Kontakt kommen, legen wir ihr das Kind wie bei einem Känguru auf den warmen Körper. Aus dem anfänglich verstörten Gesichtsausdruck der Mutter kommt immer mehr ein Lächeln hervor. Die abgepumpte Milch wird mit einem kleinen Kännchen dem Kind eingeflößt, zum Saugen ist es noch zu schwach. Bald hat es die 2kg-Grenze erreicht und das Kind trinkt nun gut an der Brust. Ein zärtliches Lächeln ist nun im Gesicht der Mutter. Im Laufe der Woche finden sich nochmals drei Mütter mit Frühgeborenen ein, die nun gemeinsam sich stärken und besonders von unseren Krankenschwestern mit viel Freude und Liebe betreut werden.
Mit dem Bischof – Kinder finden unsere Obhut
Von einem Priester, der zuvor in unserer Gemeinde war, und nun sehr entlegen transferiert wurde, war ich zur Sonntagsmesse eingeladen worden. Zur Messe kam auch der Bischof und wir beide bekamen zu Beginn des Gottesdienstes eine Fußwaschung, begleitet von Gesang und Musik der jungen Gemeinde. Zum Abschuss der Messe saßen alle Kinder am Boden um uns herum und der Bischof erzählte ihnen, wie es sich mit dem Beten verhält.
Mir wurden dann die kranken Kinder ans Herz gelegt, wovon eines schwerkrank war - welches ich dann auch gleich mit der Mutter zu uns ins Krankenhaus mitgenommen habe. Es hatte eine Gallengangs-Entzündung mit Gallensteinen und musste operiert werden. Ein anderes 2-jähriges Kind konnte nicht laufen und war schwer mangelernährt, was wir auch noch mitgenommen haben. Da stellte sich ein (Silver Russel) Syndrom heraus, was unser erfahrener Kinderneurologe gleich diagnostizierte. Laufen hat das Kind dann bei uns gelernt, die Mutter hat mich jeden Morgen mit “Jesus Marang“ begrüßt -der Gruß der Christen untereinander.
Füreinander da sein!
In unserem Krankenhaus haben sich die Mütter und Kinder wie eine Großfamilie gefühlt. Die Mütter haben die Schwächeren ermutigt, zu stillen, zu füttern oder die Kinder zum Sprechen bzw. zum Laufen zu motivieren. Alle haben sich über neue Entwicklungsschritte der Kinder gefreut und auch einmal ein anderes Kind auf dem Arm gehabt. So auch unsere 3-jährige Mansoumi, ehemals mit schwerer Gehirn-Tuberkulose und sterbenskrank, die nun gerade wieder laufen kann und auch sprechen lernen will und von allen Kindern und unseren Krankenschwestern Bilder und Wortübungen bekommt.
Der indische Verkehr…?!!
Der Straßenverkehr in Indien bleibt eine Herausforderung. Es werden keine Regeln eingehalten, sondern man fährt auf Lücke, mal rechts mal links, je nachdem welcher Ziege oder welchem Hund man gerade ausweichen muss. Kühe bleiben stoisch auf den Straßen liegen ohne sich zu rühren, man muss sie umständlich umfahren. Am Bahnübergang finden sich alle Gefährte entlang der Schranke (die ganze Straßenbreite einnehmend) auf beiden Seiten ein.
Beim Hochgehen der Schranke prallen beide Fronten aufeinander, aus dem Gewirr, fahren die Motorräder rasch davon, dann tuckern die Pritschenwagen und halten alles auf, die Autos haben eigentlich keine Chance zügig die Bahngleise zu überqueren. Wie durch ein Wunder fädeln sich alle aneinander vorbei, jedoch hauchdünn und oft mit Kontakt. Dazu die tiefen löchrigen Krater in den Straßen, wodurch mein Ambulanz- Auto auch mehr hüpft als flüssig fährt. An dem staubigen Straßenrand findet sich am Morgen auch ein Fischmarkt, wo am Boden die prächtigen Fische ausgelegt sind.
Dorfsprechstunde – alle schwitzen…
Die Dorfsprechstunde ist stets sehr schön, jedoch bei tropischen Temperaturen zugleich auch sehr schweißtreibend. Auf den Gesichtern der Kinder glitzerten die Schweißtropfen wie leuchtende Perlen. Mit geduldigen Augen schauen sie uns an, mittlerweile auch an die Blutabnahmen gewohnt und auf die Belohnung des Luftballons wartend. Neben uns schlängelt sich eine Schlange von einem Wagen herab, sie wurde aber gleich als ungefährlich eingestuft. Während der Monsun Zeit gibt es jedoch häufiger Schlangenbisse, da diese durch Hauswandlöcher ins Innere gelangen.
Der Alltag ist mit so viel Unvorhergesehenem gespickt, ein Durchbrennen der Sicherung mit Qualm im Arztzimmer, Stromausfall und gleichzeitig stark geschwächte Patienten, die nur mühsam ihre Geschichte erzählen können. Allein das Vertrauen auf Gottes Hilfe und Sein Wirken lässt uns zuversichtlich alles annehmen und in Ihm die Lösung finden.
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